Bericht: Von «Diversity Management» zu «Diversity & Inclusion»?
Autorin: Julia Gramlich
(in der Kontextspalte als Download verfügbar)
Die diesjährige Fachtagung der Diversity Forschenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an der Universität St. Gallen hat mit einer Vielfalt an aufschlussreichen Forschungsbeiträgen gezeigt, dass die Hoffnung auf mehr Diversität und Inklusion in organisationalen Kontexten sowohl gross als auch grün ist. So veranschaulichten zahlreiche grosse, kleine, dicke, dünne, gerade und schiefe, üppige sowie kargere Kakteen- und andere Pflanzengewächse in den Tagungsräumlichkeiten den etymologischen Ursprung des Diversitätsbegriffs aus der Pflanzenbiologie. Die florale Vielfältigkeit wurde schliesslich durch ein buntes Spektrum an Beiträgen aus der aktuellen Forschung rund um das Thema «Diversity & Inlcusion» abgerundet. In parallelen Sessions referierten Wissenschaftler*innen über Forschungsprojekte, -ergebnisse und -vorhaben sowohl in theoretisch-konzeptioneller Absicht als auch hinsichtlich eines konkreten Umgangs mit Diversität und Inklusion im Unternehmensalltag. Doch was hat es eigentlich mit diesen Begriffen auf sich? Und wo liegen Spannungsfelder, die es kritisch zu beleuchten gilt?
Zehn Jahre ist es her, seit das Vernetzungstreffen zum Thema Diversität und Veränderung an der Universität St. Gallen stattfand. Ein Dezennium später stehen nun die Begriffe «Diversity & Inclusion» programmatisch für den Umgang mit Differenz und Vielfalt in Organisationen und Unternehmen.
Prof. Dr. Maddy Janssens von der Universität KU Leuven gab in einer ersten Keynote-Speech einen persönlich-historischen Rückblick durch die Geschichte der Diversitätsforschung von der Workforce 2000 im Kontext einer konservativen Reagan-Politik in den 1970ern bis hin zur politisch-gesellschaftlichen Aktualität von Diversität im Zuge von Globalisierung, «Flüchtlingskrise» und Migration. Damals wie heute stehe die Konzeptualisierung, bzw. Klärung der Begriffe «Diversität» und «Inklusion» auf der Agenda der Diversitätsforschung. Forschungsprojekte, die nicht Persönlichkeitseigenschaften und -kategorien, sondern organisationale Prozesse beleuchten und verstehen, braucht es Janssens Ansicht nach, um die Komplexität von Diversität in all ihren Facetten fassen zu können. Die Ergebnisse des ethnographischen Forschungsprojektes «Intergenerational Dance – New Diversity Practices on and off the Stage?», das sie gemeinsam mit Prof. Dr. Chris Steyaert von der Universität St. Gallen durchführt, stehen hierbei zukunftsweisend für prozessuale Forschung und ermöglichen ein tieferes Verständnis von Inklusion. Was wir von der Tanzkompanie «Ultima Vez» in Brüssel und ihrem Engagement von jungen und alten, weiblichen und männlichen, professionellen und laienhaften, ethnisch vielfältigen Tänzer*innen mit und ohne Beeinträchtigung lernen können? «That things can be done differently», lebendige Inspiration und: Dass Diversität viel mehr als eine lose Verzahnung soziodemographischer Variablen ist, sondern als Effekt prozessualer Strukturen und alltäglicher Praktiken in Organisationen gelesen werden muss.
Dass das Differenzverständnis im Konzept von Diversität und Inklusion neben Inspiration auch neue Fragen aufwirft, verdeutlichte Prof. Dr. Andrea Maihofer vom Zentrum für Gender Studies in Basel: «Es geht um Probleme!». So ziele Inklusion auf eine neue Normalität ab, die sich vermehrt zu einer hegemonialen Norm für Organisationen entwickle. Daraus erwachse die Frage, wie mit Menschen mit grundsätzlich anderen Einstellungen wie z.B. Homophobie oder Abtreibungsgegner*innen, also Individuen, die die neue hegemoniale Kultur nicht teilen, umzugehen sei? Wie sollen sich Menschen, die unterschiedlich denken, verständigen? Maihofers Ansicht nach bestehe die Notwendigkeit der fortlaufenden Kritik am eigenen hegemonialen Anspruch von Diversität und Inklusion.
Auch Dr. Christa Binswanger von der Universität St. Gallen beschäftigte sich mit den theoretischen Implikationen von Differenz im Konzept der Diversität und betonte hierbei, dass Differenz nicht essentialisierend, sondern stets relational betrachtet werden sollte. Wenn das Management von Diversität zu Inklusion führen soll, so müsse Differenz in ihrer Komplexität berücksichtigt werden. Denn die Einmaligkeit von Individuen könne nur dann in einem beruflichen Kontext Anerkennung finden, wenn die Frage nach Zugehörigkeit mit der Machtfrage verbunden werde. Daher müssten die durch Kategorisierung entstehenden Machteffekte fortlaufend und in ihrem Zusammenspiel analysiert und kritisiert werden.

Dass es zur Förderung von Inklusion zuweilen jedoch effektiv sein kann, in eindeutigen Kollektivkategorien zu forschen, demonstrierte Prof. Dr. Elisabeth Kelan von der Universität Essex in ihrem Plenarvortrag über das Potential männlicher Führungskräfte in der Förderung von Frauen und Gleichstellung in Unternehmen. Mittels Comic-Zeichnungen vermittelte sie spielerisch ihre Forschungsergebnisse und zeigte, dass gute Führung auch bedeutet, sich als männliche Person gegen Diskriminierung von weiblichen Mitarbeiterinnen im Unternehmensalltag zu positionieren – ganz ohne dabei das ausgediente Bild der «Jungfrau in Nöten» mobilisieren zu müssen. Sowohl Manager*innen als auch Forschende sollten dabei die tagtäglichen Mikro-Praktiken von Inklusion beleuchten, um die Wirkmechanismen von Inklusion in ihrer Komplexität zu verstehen.

In einer dritten Keynote Speech referierte Dr. Thomas Köllen von der Universität Bern über den aktuellen Stand der Organisations- und Managementforschung zu den Themen Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung. Programmatisch steht hierfür das Akronym LGBT+ in seiner Vielfalt von Erweiterungsmöglichkeiten als Sammelkategorie für verschiedene Minderheitsausprägungen, wobei grundlegend zwischen den Kategorien sexuelle Orientierung und Gender Identität differenziert werden müsse. Weiterhin unterscheidet Köllen zwischen «Gender» als der Geschlechtszuschreibung durch die Gesellschaft und «Gender Identity» als die eigene, individuelle Identitätszuschreibung und -entscheidung. Grundsätzlich hätten LGBT+ Personen die Möglichkeit, sich im organisationalen Kontext zu outen oder versteckt («going stealth») mit ihrer sexuellen Orientierung oder Gender Identität umzugehen. Letzteres gehe jedoch meist mit einem Verlust des Karrierekapitals einher, z.B. dann, wenn Transgender Personen nach ihrer Transition den Arbeitsplatz wechseln müssten, um in einem anderen Kontext unbemerkt in ihrer neuen Geschlechtsidentität auftreten zu können. Als massgebliches Beispiel eines gelungenen LGBT+ Diversity Managements kann das Unternehmen SAP genannt werden, das unter anderem die Transition einer Führungsperson unterstützte. Aber auch der VfL Wolfsburg wirbt in einer LGBT+ Kampagne für mehr Diversität auf und hinter dem Fussballplatz, sowohl im Frauen- als auch im Männerfussball.

Fussball war auch das Stichwort für den Abschlusspunkt auf der Tagungsordnung. Der holzvertäfelte, quadratische Vorlesungsraum, in dem sonst Management oder Recht gelehrt werden, verwandelte sich für 120 Minuten in einen Kinosaal, in dem der Schweizer Spielfilm «Mario» (2018) von Regisseur Marcel Gisler über Homosexualität im Schweizer Männerfussball gezeigt wurde. In der anschliessenden von Dr. Verena Witzig moderierten Podiumsdiskussion mit dem Regisseur, dem Schiedsrichter Pascal Erlachner, der Österreichischen Fussballspielerin Gabi Fiedler, Sven Kistner als Vertreter der Queer Football Fanclubs sowie Dr. Thomas Köllen wurde vor allem deutlich, dass es mehr Vorbilder im Fussball braucht, die Botschaften wie «Ich kann genauso gut Fussballspielen wie ein heterosexueller Mensch» selbstbewusst nach aussen tragen. Thomas Köllen verwies weiterhin darauf, dass es für die Vereine wichtig sei, hinter der Entscheidung der Fussballer*innen zu stehen sowie klare Signale nach aussen zu geben: Ganz so, wie der VfL Wolfsburg es aktuell mit seiner LGBT+ Kampagne beispielhaft demonstriere. Dass Homophobie im Fussball nach wie vor ein brennendes Thema ist, liege auch daran, dass Fussball eine weltumspannende, kulturübergreifende Institution repräsentiert, die positive Entwicklungen behindere, da Homophobie in vielen Ländern der Welt nach wie vor gesetzlich unterstützt wird. Marcel Gisler betont die Rolle des zunehmenden Ruhms für eine Verstärkung des heteronormativen Drucks auf die Spieler*innen. Gabi Fiedler stellte zudem fest, dass es schwierig sei, die Probleme im Männerfussball eins zu eins auf den Frauenfussball zu übertragen, da dieser nach wie vor weniger Wertschätzung erfahre. Auch müssten sich die Spielerinnen auch heute noch mit dem häufig heraufbeschworenen Stigma des «Mannsweibs» auseinandersetzen. Mit internen Aussagen wie «Lass die Haare lieber lang» werde die nach Aussen präsentierte Toleranz der Vereine so lediglich zu einer Karikatur von Vielfalt. Die Hoffnung auf mehr Diversität und Inklusion wächst und gedeiht jedoch auch auf dem Fussballplatz – so wünscht sich Gabi Fiedler, dass zukünftig bei den Fussballerinnen in erster Linie der Fussball, und erst sehr viel später der Haarschnitt oder die privaten Beziehungen besprochen werden.
Mit dem Thema «Queer Fussball» endete die diesjährige Vernetzungstagung. Die nächste Tagung wird vom 8.-10. Juli 2020 im Rahmen der «Berner Diversity Woche» im Anschluss an die englischsprachige EDI-Konferenz stattfinden (www.edi-conference.org). In St. Gallen blieben wir jedoch noch ein bisschen länger am Thema und diskutierten an der am darauffolgenden Tag stattfindenden „Diversity & Inclusion Tagung“ mit Praktiker*innen verschiedene Aspekte von LGBT+, den Herausforderungen mit Identitätskategorien umzugehen und sie mit Hilfe der «Queer Theory» auch neu und anders zu denken (https://www.es.unisg.ch/de/diversity-and-inclusion-tagung).
