Seit einiger Zeit versuche ich zu verstehen wie es dazu kommt dass wir uns so fühlen wir wir uns fühlen und meine Nachforschungen haben mich dabei von der personenzentrierten Klinischen Psychologie hin zur Organisationspsychologie geführt. Die Organisationspsychologie, zumindest meinem Verständnis nach, erforscht wie Menschen, bewusst oder unbewusst Teil von sozialen Prozessen sind die zum Beispiel zur Erschaffung neuer Institutionen, zur Aufrechterhaltung von Routinen oder der Verstörung führen. Hier wurde ich mit den Arbeiten der amerikanischen Soziologin Arlie Hochschild bekannt gemacht und seit ich Hochschilds wegweisendes Buch „The managed heart: commercialization of human feeling (1985)“ gelesen habe gehe ich verstärkt der Frage nach wie Emotionen sozial organisiert und konstruiert werden.
Auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass ich seit langem mit dem Begriff "Kapitalismus" hadere - wegen seiner Nähe zur klassischen marxistischen Theorie, die postuliert dass DER Kapitalist die Arbeiterklasse ausbeutet. Während ich sehe, dass dies mancherorts noch der Fall ist (→ Sorry, iphone Fans das ist an Euch gerichtet) fand ich es immer schwierig klassische Marxistische Analyse in die Erfahrungswelten die mich umgeben zu übersetzen. In den letzten Jahren habe ich selten Menschen kennengelernt die von einem kontrollierendem Chef ausgebeutet wurden, eher solche die sich mit Eifer bis zum psychischen Zusammenbruch in Arbeit stürzen.
Erst Kürzlich, in dem Haniel Seminar von Eva Illouz, habe ich den Nutzen des Begriffes „Kapitalismus“ zur Erklärung von Emotionen zu schätzen gelernt. Der Aspekt den Eva Illouz aufzeigt ist, dass der zeitgenössische Kapitalismus, den sie emotionalen Kapitalismus nennt, einen neuen diskursiven Raum ausfüllt in dem die Grenzen zwischen der leistungserfüllten Arbeitswelt und dem intimem Privatleben zusammenfallen. Der kapitalistische Modus wird zum unhinterfragtem Rahmen durch den wir grosse Teil unseres Lebens erzählen und bewerten. Illouz formuliert es folgendermassen:
» In emotional capitalism emotional and economic discourses mutually shape one another so that affect is made an essential aspect of economic behavior, and emotional life, especially that of the middle classes, follows the logic of economic relations and exchange. « (Eva Illouz, Saving the modern soul, 2008, p. 60)
Es ist nochmals Arlie Hochschild die durch ihre Arbeiten in den letzten 20 Jahren diese Prozesse durch zahlreiche empirische Beispiele in ihren Büchern The Second Shift: Working Parents and the Revolution at Home (1989), The commercialization of intimate life: Notes from home and work (2003) or The Outsourced Self: Intimate Life in Market Times (2012) dargestellt hat.
Zusammengefasst können wir sagen, dass Kapitalismus komplexer und ambivalenter geworden ist und wie ich von dem Humangeographen Nigel Thrift gelernt habe können wir Kapitalismus als Vitalität verstehen welche stets in Bewegung ist Möglichkeiten um Amalgame, Hybride und Übersetzungen zu erschaffen und dadurch in Lebenswelten vorzudringen die bislang nicht Teil des kapitalistischen Ethos waren. Thrift selber formuliert dies wie folgt:
» Long ago now, Marx depicted capitalism as dead labour haunting the living, but I am not sure that this is an adequate description, for it gives credence to the notion of capitalism as a deadening force when, increasingly, capitalism has a kind of unholy vitality, a kind of double duty, to possess but also to create, to accumulate but also to overflow, to organize but also to improvise. « (Nigel Thrift, Knowing Capitalism, 2005, p.17)
Zeitgenössicher Kapitalismus ist „unheilig“ da er Grenzen überschreitet die einst heilig waren (Sonntags arbeiten, Arbeits-Emails im Bett bearbeiten, Kindergeburtstag bei McDonalds, usw.) Gleichzeitig ist Kapitalismus vital: durch das Streben mit neuen Technologien und Praktiken neuen Märkte zu erobern werden Möglichkeiten neuer Lebensweisen erschaffen. Dies hat uns allerlei Dinge gebracht die wir lieben gelernt haben und für die wir uns begeistern (Sonntags in Cafes arbeiten, Arbeits-Emails im Bett mit unserem ipad beantworten, der stressfreie Kindergeburtstag bei McDonalds). Um nur einige Beispiele zu nennen die meines Erachtens nach den Zusammenfluss zwischen dem kapitalistischem Ethos und dem intimen, emotionalem Leben verdeutlichen habe ich im folgenden einige Links zusammengestellt:
- Ins Coaching gehen damit die eigenen neurotischen Gefühle die Karriere nicht behindern.
- Yoga und Meditation um für die Arbeit produktiver zu werden.
- Über Beziehungen in ökonomischen Metapherns sprechen
- Sich ängstlich fühlen, wenn man seine Emails nicht abrufen kann
In diesem Sinne möchte ich Ihnen, dem Leser, ein kleines Gedankenexperiment vorschlagen. Lassen Sie uns annehmen, dass DER Kapitalist - jener Charakter der danach strebt seinen Profit zu maximieren, dabei alle vorhandenen Ressourcen ausschöpft und Reichtum zum Zwecke des Ansammelns von Reichtums ansammelt - eine Stimme in uns ist. Lassen Sie uns auch annehmen, dass wir diese Stimme selten bewusst wahrnehmen da es sich hier vielmehr um ein verführerisches Flüstern handelt als um ein lautes Brüllen. Schliesslich, lassen Sie uns davon ausgehen, dass diese Stimme recht kommunikativ ist und mit anderen Teil unseres Selbst im Gespräch ist während sie geschickt versucht ihre Vorzüge zur Geltung zu bringen. Ziehen wir all dies in Betracht könnten Sie nun einmal der Frage nachgehen wie diese Stimme Sie durch den Tage hindurch begleitet und wie ein Echo die Dinge die Sie tun, denken und fühlen bewertet. Wie sie sich der Stimme widersetzen oder sich ihr hingeben… beeinflusst dies also wie sie sich fühlen?
Zum Schluss möchte ich noch mehr Fragen stellen die mich beschäftigen: Gibt es Bewegungen und Orte welche jenseits der Grenzen des kapitalistischem Ethos liegen? Wie steht es um Slow food , Street art, Couch surfing or Parcour ? … oder werden im nächsten Moment auch diese Bewegungen im den Sog der Vermarktungsmaschinerie filetiert ? Und was ist mit den alltäglichen und unprätentiösen Praktiken?
Falls Ihnen weitere Beispiele einfallen oder Sie diesen Text kommentieren möchten: ich freue mich über Ihre Nachricht.