Forschung zu Gleichstellung und Geschlecht
Anfang November letzten Jahres trafen sich in Biel im Kanton Bern die Forschenden des Nationalen Forschungsprogramms 60 „Gleichstellung der Geschlechter“ mit Gleichstellungsexpertinnen und –experten aus den verschiedensten gesellschaftlich relevanten Bereichen. Nach drei Jahren intensiver Forschungsarbeit zu Gleichstellungsfragen in der Familie, im Bildungswesen und im Erwerbsleben in 21 Projekten war es nun an der Zeit, die Ergebnisse praxistauglich umzuformen und der Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Die von der Forschung bearbeiteten Themen liefern Erkenntnisse zu Fragen der (Aus-)Wirkungen von Gleichstellungspolitik und Frauenförderung in Schule, Kinderkrippen und am Arbeitsplatz, analysierten Familienpolitik, Rentenreform, und die Organisation von Care-Arbeit; erklärten Lohndiskriminierung, geschlechterdifferenzierende Berufswahl, sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und auch Aspekte häuslicher Gewalt.
Da die meisten Projekte derzeit noch mit Auswertungen beschäftigt sind und ihre Schlussberichte erst in einigen Monaten vorliegen werden, handelte es sich um vorläufige Ergebnisse und einen ersten, wenn auch richtungweisenden Austausch zur Frage, was diese Ergebnisse denn nun für die Praxis und insbesondere der Gestaltung der Zukunft bedeuten können. Dass dies ein anspruchsvolles Unterfangen wird ist klar, hält man sich die Komplexität der Genderthematik allgemein wie auch die Bandbreite an untersuchten Themen vor Augen.
Ein rigides Moderationsverfahren
So stehen in meinem Beitrag auch nicht die Inhalte dieser Tagung, sondern die Gestaltung eines solchen transdisziplinären Austauschs im Mittelpunkt – die Übersetzung der Forschungsergebnisse in verschiedene Praxiskontexte. Die Organisatorinnen der Veranstaltung, bestehend aus der Leitungsgruppe des NFP 60 und Dr. Gudrun Sander als Leiterin Wissenstransfer haben diesen Austausch auf Grundlage der Methode der „Kollegialen Fallberatung“ (z.B. Brandenburg, 2012; Klawe, 1995) moderiert. In Kleingruppengesprächen, an denen jeweils die Forschenden eines Forschungsprojekts sowie je 5-8 ExpertInnen für Gender- und Gleichstellungsfragen teilnahmen, wurden mögliche Transferaktivitäten in klar strukturierten Gesprächsrunden erarbeitet. Zunächst wurden von den Forschenden die wichtigsten Ergebnisse in einer Kurzpräsentation dargelegt, im Anschluss durften Verständnisfragen gestellt werden, die wiederum gesamthaft von den Forschenden beantwortet werden. Das Wort wird bei dieser Methode also jeweils nur einer der beiden anwesenden Gruppen erteilt. Im Anschluss sind die ExpertInnen gefragt. Sie diskutieren nun die Relevanz der gehörten Forschungsergebnisse. Was ist für ihre konkrete Arbeit vor Ort wichtig gewesen? Woran können sie anknüpfen? Wie könnten sie damit weiterarbeiten? Es sollen erste Ideen und Relevanzsetzungen erarbeitet werden, die in einer kurzen anschliessenden Runde von den Forschenden wiederum kommentiert und ergänzt werden können.
In einem weiteren Schritt versuchen sich nun die ExpertInnen an der Entwicklung konkreter Umsetzungsvorschläge. „Wo müssen die Ergebnisse eingespeist werden? Welche wichtigen Akteure müssen mobilisiert bzw. informiert werden? Welche konkreten Projekte sollten angestossen werden?“ sind Fragen, die hier von den Organisatorinnen gestellt wurden. Es geht jetzt also um die konkrete Umsetzung, um das Entwickeln von konkreten Plänen und to dos, aber auch um das Abwägen von Hindernissen und Konsequenzen. Wiederum haben die Forschenden ein letztes Wort und können die erarbeiteten Vorschläge aus ihrer Sicht gewichten und bewerten. Welche Interpretation ihrer Ergebnisse ist noch zulässig, wo sollte nochmals etwas überdacht werden? Geschlossen wird der Austausch mit einer Feedbackrunde aller Teilnehmenden über den Prozess und die Erkenntnisse und Anregungen, die mitgenommen werden.
‚Zwanghaftes Regelspiel‘ oder ‚fokussiertes Arbeiten‘?
Was bringt eine solch rigide strukturierte Moderationsmethode? Zunächst rief ihre Darstellung in der Tagungsmappe sowie die Ankündigung im Plenum skeptische Stimmen auf den Plan. Zugegeben, der in der Tagungsmappe verteilte „Fahrplan“ klang schon sehr nach zwanghaftem Regelspiel. Vorstellen der Resultate, zehn Minuten, ExpertInnen hören zu und schweigen, WissenschaftlerInnen hören zu und schweigen. „Brauchen wir das wirklich?“, „Müssen wir uns so in unseren Redefreiheiten einschränken?“, „Ist das nicht alles ein bisschen wie im Kindergarten?“, so die Pausenkommentare der anwesenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Gebracht hat es bei aller Skepsis auf alle Fälle viel. Die rigide Methode hat bewirkt, dass sich die Gruppen „Forschende“ und „ExpertInnen“ ihrer unterschiedlichen Funktionen, Rollen und Aufgaben beim Wissenstransfer stets bewusst waren. Weder kann es die Aufgabe der Forschenden sein, den PraktikerInnen „Ratschläge“ zu geben. Diese kennen ihre Praxis um einiges besser. Und es ist nicht Aufgabe der PraktikerInnen, der Forschung den Weg aus dem Elfenbeinturm zu weisen. Forschungsergebnisse für die Praxis aufgreifbar zu machen muss nicht heissen, sich stets nur auf das Machbare, das Offensichtliche, das von der Praxis schon fast Bestellte zu begrenzen. Forschung und Praxis folgen unterschiedlichen Regeln und haben unterschiedliche Aufgaben wahrzunehmen. Das im Austausch deutlich zu machen ist aus meiner Sicht ein zentraler Effekt der klar diese zwei Gruppen betonende Methode.
Durch die klare Zuweisung von Redegeboten und –verboten wurde zudem das gegenseitige Zuhören und Priorisieren von möglichen Antworten gefördert. Die Aufmerksamkeit rückte weg von den individuellen Positionen der Sprechenden hin zum gemeinsamen Ziel: Transferaktivitäten identifizieren und möglichst sorgfältig einer ersten Planung unterziehen. Natürlich wurde auch gestritten und unterschiedliche Positionen vertreten, verworfen und angegriffen. Aber das in einem begrenzten und – zumindest nach meinem Wissen – produktiven Rahmen, da die rigide Struktur jeweils wieder an die eigentliche Zielsetzung erinnert hat. Hierdurch wurde auch verhindert, zu lange (oder ausschliesslich) bei der Analyse sowie einer Diskussion der Methoden und Methodologie zu verweilen. Dies ist zwar für WissenschaftlerInnen zentral, und zudem auch ein Gebiet, auf dem man sich sicher, da zuhause fühlt, jedoch für die hier gestellte transdisziplinäre Aufgabe eher ein Hindernis. In den 90 pro Runde zur Verfügung stehenden Minuten wurden erstaunlich viele Pläne identifiziert und geschmiedet, die bis zur Umsetzung ausgearbeitet werden konnten.
Sicher, die Methode verlangt allen Beteiligten ab, sich selbst etwas in den Hintergrund zu rücken und wirklich am Thema und an der Zielsetzung zu arbeiten. Und sie verlangt gut geschulte Moderatorinnen oder Moderatoren. Es scheint mir weniger wichtig, die Teilnehmenden über alle Details der Moderation zu informieren, als dass die ModeratorInnen einen guten Weg finden, zum einen die einzelnen Schritte der Methode durchzuführen, zugleich aber auch so flexibel bleiben, dass es eben nicht zu einem rigiden Erlebnis, sondern zu einer Fokussierung der beteiligten Personen auf das Wesentliche führt.
In Biel ist dies nach meinem Eindruck nach sehr gelungen – und mir haben einige der zunächst skeptischen Kolleginnen im Anschluss zustimmen können, dass die Methode doch weniger gestört habe als zunächst gedacht und man überrascht sei, wie gut man zu Ergebnissen gekommen sei. Hut ab!
Wir können schon sehr gespannt sein, auf welchen Wegen all diese Forschungsergebnisse in den nächsten Jahren neue gesellschaftliche Praxis zum blühen bringen werden!