Der Chef als Vorbild

Der Chef als Vorbild – Frauen in Führungspositionen und ihre Suche nach Orientierung

Lea-Sophie Knobelspies
03.Dezember 2025
Junge Frauen, welche eine Führungsrolle anstreben, finden sich oft in einer herausfordernden Situation wieder: Einerseits studieren bereits mehr Frauen als Männer an Schweizer Universitäten und immer mehr Frauen erreichen Führungspositionen. Andererseits wird der Frauenanteil von Karrierestufe zu Karrierestufe geringer, was die Auswahl an weiblichen Vorbildern nach wie vor geringhält. Woran also orientieren sich Frauen in Führungspositionen und wie stehen sie zu ihrer eigenen Vorbildrolle?

Beim Thema Vorbilder denkt man häufig an bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft. Mit der im Rahmen meiner Bachelor-Arbeit entstandenen Studie zeichne ich jedoch ein anderes Bild: Für Frauen in Führungspositionen in der Schweiz spielen öffentliche Personen kaum eine Rolle. Stattdessen sind es die eigenen, meist männlichen Vorgesetzten, die den grössten Einfluss auf die Karriereentwicklung der Frauen haben.

Vorbilder im Laufe der Karriere

Im Gespräch mit sieben weiblichen Führungskräften aus den Bereichen Wirtschaft, Recht und dem öffentlichen Sektor wird deutlich, wie prägend Bezugspersonen am Arbeitsplatz sein können. Besonders zu Beginn ihrer Laufbahn suchen junge Frauen Orientierung im unmittelbaren beruflichen Umfeld:

„Ja, ich glaube, mich haben sehr meine Führungskräfte geprägt, also meine Chefs selber. Ich hatte, als ich ganz jung Führungskraft wurde, eine sehr tolle Chefin, die war sehr erfahren.“

In diesen frühen Phasen der Karriere sind Vorgesetzte als Orientierung oder Mentoren prägend. Doch auch im weiteren Verlauf bleiben sie relevant - manchmal über Jahrzehnte hinweg, wenn die berufliche Laufbahn längst weiter vorangeschritten ist. In späteren Karrierephasen kommen kaum mehr neue Vorbilder hinzu. Vielmehr werden die früheren Vorbilder wieder herangezogen:

„Genau, aber es ist weniger, dass ich jetzt irgendwie noch so ein Vorbild habe. Ich denke vielmehr einfach an diese 3 Personen in meiner früheren Karriere, die mich sehr geprägt haben.“

Mit zunehmender Erfahrung und Karriereschritten suchen die Befragten mehr nach Austausch auf Augenhöhe als nach einem bewunderten Vorbild oder Mentor. Dabei geht es um den gezielten Aufbau eines Netzwerks, um in den Kontakt mit Gleichgesinnten zu treten. Insbesondere ein Netzwerk mit Frauen in ähnlichen Situationen ist dabei interessant und bietet Inspiration für Lösungsansätze eigener Probleme:

„Ich möchte einfach so ein bisschen Orientierung finden. Es ist momentan eher so meine Intention, da so ein Netzwerk aufzubauen zu Frauen in ähnlichen Situationen, um sich da auszutauschen und zu sehen, welche Probleme bestehen da und welche Strategien gibt es so, mit denen umzugehen.“

Fehlende weibliche Vorbilder

Da weibliche Vorbilder in vielen Branchen nach wie vor rar sind, dienten den befragten Frauen häufig männliche Chefs als Vorbilder, Mentoren oder Leitfiguren. Von ihnen lernten sie Führungskompetenzen und erhielten fachliche sowie persönliche Einblicke. Allerdings geschieht die Wahl des männlichen Vorgesetzten als Vorbild meist nicht bewusst, sondern aus Mangel an weiblichen Alternativen:

„Meine Generation hatte keine weiblichen Vorbilder in Führungsfunktionen. Es gab da einfach keine Frauen in solchen Positionen.“
„Ich glaube, dass uns Frauen, die weiblichen Vorbilder in der Breite fehlen, gerade in grossen Betrieben und spezifisch im Finanzsektor. Es gibt zwar welche, aber sehr wenige, sie fehlen in der Breite.“

Teilweise hatten die befragten Frauen das Gefühl von männlichen Vorgesetzten weniger gefördert zu werden als ihre männlichen Kollegen. Dies minderte die Wahrnehmung der Vorgesetzten als Vorbilder oder Mentoren und wirkte sich potenziell negativ auf die Karrieren der Frauen aus:

„Es war noch nicht diese Selbstverständlichkeit da, dass man auch von einem männlichen Kollegen gefördert wird, wenn man gut ist.“

Implikationen für die Zukunft

Diese persönlichen Erzählungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass sich männliche Führungskräfte ihres Einflusses bewusst sind und aktiv auch weibliche Mitarbeitende fördern. Langfristig ist eine breite Auswahl an Vorbildern beider Geschlechter erstrebenswert. So können junge Frauen ihre Vorbilder je nach Situation und persönlicher Präferenz wählen und das Geschlecht rückt dabei in den Hintergrund. Um dies zu erreichen, braucht es nicht nur mehr Frauen in Führungspositionen, sondern auch ein gezieltes Sichtbarmachen dieser Persönlichkeiten und Karrieren.

Bezüglich ihrer eigenen Vorbildrolle besteht ein starkes Bewusstsein bei den weiblichen Führungskräften. Sie sind überzeugt davon, dass Führungskräfte aufgrund ihrer Position fast automatisch eine Vorbildrolle einnehmen, und möchten dies zu Gunsten ihrer Mitarbeitenden nutzen:

„Ja also, ich meine gute Vorgesetzte prägen einen immer, also das muss ich sagen. Das erscheint mir ganz klar. Die haben eine ganz wichtige Rolle, gerade in den ersten Jahren.“

Insbesondere für nachkommende Frauen wollen die befragten Führungskräfte die Vorbilder sein, die ihnen selbst zu Karrierebeginn gefehlt haben. Dabei machen sie die Vielfalt weiblicher Karrierewege sichtbar und leben eine Selbstverständlichkeit von Frauen in Führungspositionen vor. Ihre Botschaft an ambitionierte Frauen lautet daher: Glaubt an euch, nutzt die Chancen, die sich bieten und entwickelt euch stetig weiter!

Dieser Artikel basiert auf der Bachelorarbeit von Lea-Sophie Knobelspies an der Universität St. Gallen.
Die Originalarbeit finden Sie hier: universitaetstgallen.sharepoint.com/sites/EDOCDB/edocDocsPublished/20250519_c_9678.pdf

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