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Gleichstellung und Hegemoniale Männlichkeit

Gleichstellung und Hegemoniale Männlichkeit oder wie Diskriminierung zum «Kolateralschaden» wird

Julia Nentwich
10. April 2020
 

Wir wissen weitaus mehr über die für die Gleichstellung hinderlichen Praktiken männlicher Kollegen im Unternehmen als über die förderlichen. Den förderlichen Praktiken der zumeist männlichen Führungskräfte war mein letzter Blog gewidmet – heute soll es, einmal mehr, um Diskriminierung, insbesondere aber um deren Erklärung gehen. Interessant ist dabei zunächst, dass diskriminierende Praktiken heutzutage häufig sehr subtil daherkommen. Es sind also weniger die eindeutig diskriminierenden, die anzüglich-sexistischen Kommentare oder gar Übergriffe der männlichen Kollegen, die dabei im Zentrum stehen (auch wenn sie nach wie vor eine Rolle spielen und keinesfalls der Vergangenheit angehören), sondern Praktiken, die zumeist unbemerkt bleiben, da sie weitestgehend als zur Arbeitsnormalität dazugehörig wahrgenommen werden. Dabei geht es vor allem darum, die Effekte vielfach nicht reflektierter Alltagspraktiken aufzuzeigen und weniger darum, Männer pauschal diskriminierender Praktiken anzuklagen. 

Die britische Organisationsforscherin Elisabeth Kelan (2018) identifiziert in ihrem Überblicksartikel zur Forschung der letzten Jahre vier zentrale Verhaltensweisen, durch die Frauen im Arbeitsalltag Diskriminierung erfahren:

1. Männer verbünden sich mit anderen Männern. 
2. Männer distanzieren sich von Frauen.
3. Männer versuchen, andere Männer zu beeindrucken 
4. Männer spielen den «Helden», indem sie zum Beispiel länger als alle anderen im Büro verfügbar sind.
 
Allesamt sind dies Praktiken, die unter Männern stattfinden, zunächst für Männer bestimmt sind und in der Geschlechterforschung als «hegemoniale Männlichkeit» bekannt sind. 

Aber der Reihe nach! Männer schliessen im Arbeitsalltag Frauen insbesondere dadurch aus, dass sie sich mit anderen Männern verbünden und sich von Frauen distanzieren – häufig ohne es zu merken. Um ein ganz stereotypes Beispiel zu verwenden: Sie verabreden sich mit Kollegen zum Feierabendbier – und da es bisher eine reine Männerrunde war, «vergisst» man, die neue Kollegin auch dazu einzuladen. Weitere Beispiele sind «typisch männliche» Gesprächsthemen wie Fussball, Formel 1, Autos oder Technik oder das begeisterte Aufnehmen von Redebeiträgen, wenn sie von männlichen Kollegen kommen – und das Ignorieren der Beiträge von Frauen. Der letztes Jahr erschienene Pixar-Film «Purl» zeigt hier anschaulich einige der klassischen Beispiele auf. 

Die beschriebenen Praktiken entsprechen dem von Raewyn Connell (1995) bereits in den 1990er Jahren identifizierten Mechanismen der «hegemonialen», also einer als Norm wirkenden Männlichkeit: Eine bestimmte heldenhafte Form von Männlichkeit ist als Idealform von allen Männern anzustreben. Diese definiert sich zum einen durch die Abgrenzung von Weiblichkeit, aber auch von Männlichkeiten, die nicht diesem Ideal entsprechen. Männliche Identität wird folglich in erster Linie unter Männer hergestellt: Durch fortlaufende Vergleiche zwischen Männern, sowie mit dem anzustrebenden Idealbild. Dabei ist es nicht entscheidend, ob der einzelne Mann dem Idealbild entspricht oder als «hegemonialer Mann» gesehen werden möchte oder nicht. Wesentlich ist, dass das aktuell vorherrschende Normengefüge diese Möglichkeit für ihn bereithält und insbesondere andere Männer ihn am Idealbild messen könnten. «Hegemoniale Männlichkeit» ist damit als machtvolle Vorgabe für männliche Identität zu verstehen. 

Zentral für dieses Verständnis männlicher Identität ist, wie gesagt, dass sie in erster Linie unter Männern hergestellt wird. Frauen nehmen an diesem Spiel schlichtweg nicht teil. Auch erscheint es wenig sinnvoll, sich mit Frauen hinsichtlich Männlichkeit zu messen. Indem sich Männer zur Herstellung ihre männliche Identität in erster Linie mit Männern beschäftigen und genau dadurch Frauen ausgeschlossen werden, wird Diskriminierung aus dieser Perspektive zum «Kolateralschaden». Die daraus resultierende Diskriminierung ist ein Effekt, der nicht beabsichtigt ist, es handelt sich nicht um geplantes, zielgerichtetes Verhalten.

Selbstverständlich sind diese Praktiken aber zu hinterfragen, möchte man Geschlechterverhältnisse in Unternehmen und der Gesellschaft zukünftig verändern. Und auch die damit verbundenen Männlichkeitsbilder gehören eher in die Rumpelkammer als in ein heutiges Unternehmen. Darauf will ich hier aber gar nicht hinaus. Wichtig ist mir an dieser Stelle, dass wir mit Hilfe der Perspektive der hegemonialen Männlichkeit deutlich sehen können, dass Frauen im Unternehmen häufig ausgeschlossen und diskriminiert werden, ohne dass dies von ihren männlichen Kollegen auch nur bemerkt würde. Diese sind zu sehr damit beschäftigt zu tun, was sie schon immer getan haben - und zwar mit ihren männlichen Kollegen, Vorgesetzten, Mitarbeitern. Dass Frauen nicht mitspielen, wenn es um die Herstellung von Männlichkeit geht ist zu offensichtlich, als dass es auffallen würde.

Männlichkeitskonstruktionen und die eigenen Routinen der Herstellung männlicher Identität im Arbeitsalltag zu hinterfragen ist somit auch ein machtvolles Instrument, um sowohl Diskriminierung zu verhindern, als auch zwingend nötig, um die Unternehmenskultur zu verändern: Wie interagieren wir, wenn es nicht um die Herstellung von Helden, Gewinnern, Stärke geht? Welche Identitätsangebote können dafür gemacht werden? Alternativen zur hegemonialen Männlichkeit zu finden ist aus dieser Perspektive ein wichtiger Schlüssel, um in Zukunft mehr Frauen in Führungspositionen befördern zu können. Wie diese Alternativen aussehen können bzw. welche anderen Formen von akzeptierten Männlichkeiten in Unternehmen bereits zu beobachten sind, untersuchen wir in unserem Projekt »Leaders for Equality» Über die Ergebnisse werden wir u.a. in diesem Blog berichten!
 



Connell, R. W. (1995). Masculinities. University of California Press.

Kelan, E. K. (2018). Men Doing and Undoing Gender at Work: A Review and Research Agenda.

International Journal of Management Reviews, 20(2), 544–558. doi.org/10.1111/ijmr.12146

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