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Was männliche Führungskräfte tun können

Was männliche Führungskräfte für die Chancengleichheit von Frau und Mann tun können

Julia Nentwich
23. März 2020
 

Die Organisationsforscherin Elisabeth Kelan hat für Grossbritannien untersucht, was männliche Führungskräfte für die Gleichstellung im Unternehmen tun können. In einem systematischen Literaturüberblick unterscheidet Kelan (2018) zwischen grundlegenden Praktiken: Erstens «Gender-exklusive» Praktiken, also jene, die Gleichstellung hindern und bereits gut von der Forschung untersucht sind. Zweitens die weniger häufig untersuchten «Gender-inklusiven» Praktiken, die Gleichstellung fördern. Gender-exklusive Praktiken sind für uns im Projekt «Leaders for Equality» insofern relevant, als dass diese entweder unterlassen oder aber in inklusive Praktiken verwandelt werden müssen, wenn männliche Führungskräfte Frauen fördern möchten. Da über Gender-exklusive Praktiken bereits viel geforscht wurde, ist der heutige Beitrag den inklusiven Praktiken gewidmet. 

Kelan (2015) identifiziert mit ihrer Studie das mittlere Management als zentrale «Drehangel» zwischen Top-Management und den unteren Hierarchieebenen. Insbesondere dieses mittlere Management und damit die alltäglichen Praktiken der Führungskräfte ist entscheidend, möchte man organisationalen Wandel voranbringen. In ihrer Studie hat Kelan drei Manager für je eine Woche in ihrem Arbeitsalltag begleitet und so vertieft die Routinen, Rituale und Interaktionen beobachtet, die von den beteiligten Personen in der Regel kaum bemerkt und selten reflektiert wurden. Dieses «Job Shadowing» wurde durch 23 Interviews mit verschiedenen Kolleg*innen der beobachteten Personen ergänzt. 

Kelan identifiziert insgesamt vier unterschiedliche Bereiche, in denen Führungskräfte aktiv werden können bzw. ihr alltäglichen Verhalten reflektieren sollten und zeigt damit sehr grundlegend auf, dass für die Förderung von Frauen die alltäglichen Praktiken der Führungskräfte entscheidend sind.


1.    Frauen ermutigen und ihre Fähigkeiten auszeichnen 
Indem Führungskräfte Frauen individuell ermutigen, z.B. herausfordernde neue Arbeitsbereiche, Projekte oder Tätigkeiten anzunehmen und zu wagen, werden Frauen im Unternehmen sichtbarer und ihre Fähigkeiten und Erfolge werden im Unternehmen stärker anerkannt. Dem zugrunde liegt nach Kelans Beobachtung, dass den Führungskräften bewusst ist, dass Frauen sich häufig zurückhaltender verhalten oder sich nicht so stark persönlich in den Mittelpunkt rücken, wie Männer das tun. Für die von ihr begleiteten Führungskräfte ist es beispielsweise selbstverständlich, Mitarbeiterinnen auf spannende Aufgaben oder auch den nächsten Karriereschritt nicht nur aufmerksam zu machen, sondern sie hierzu explizit aufzufordern und zu motivieren. Auch suchen sie jeweils persönlich nach geeigneten Frauen, wenn Expert*innen für Veranstaltungen gesucht werden. Um das Potential von Frauen im Unternehmen sichtbarer und stärker ins Bewusstsein seiner Kollegen zu rücken erwähnt er ausserdem seine Mitarbeiterinnen und Kolleginnen jeweils bewusst positiv und betont dabei ihre Kompetenzen und Fähigkeiten.


2.    Vorurteile in Frage stellen
Hierbei geht es in einem ersten Schritt darum, vorurteilsbehaftete Aussagen über Frauen im Arbeitsalltag zu erkennen und diese in einem zweiten Schritt auch in Frage zu stellen. Wie Kelan ausführlich zeigt, sollte das nicht heissen, konfrontativ zu sein. Vielmehr gilt es zu thematisieren, wenn eine Situation als unangenehm empfunden wurde oder eine Entscheidung auf stereotyper Wahrnehmung begründet scheint. Vorurteile und Stereotypen, so die Einsicht Kelans, wirken vor allem dann diskriminierend, wenn sie stillschweigend akzeptiert oder toleriert werden. Vorurteile in Frage zu stellen hat darum das Potential, die Arbeitsbeziehungen sowie die Organisationskultur in Richtung Gleichstellung zu verändern. 


3.    Gleichstellungsinitiativen im Unternehmen fördern und auch verteidigen
Ein wichtiges Feld, in dem das Engagement gerade männlicher Führungskräfte grosse Wirkung zeigt, sind nach Kelans Beobachtungen die unternehmensinternen Gleichstellungsinitiativen. Zeigen hier Männer Initiative und Engagement, indem sie an Anlässen teilnehmen und bis zum Ende dabeibleiben, oder auch indem sie das Thema unterstützen und im Zweifelsfall auch gegenüber Kritikern verteidigen, so nimmt die Wichtigkeit von Gleichstellungsinitiativen im Unternehmen deutlich zu. Männern wird im Unternehmensalltag beim Thema Gleichstellung eine grössere Sachlichkeit und weniger eigene Betroffenheit zugeschrieben – auch wenn das individuell jeweils gar nicht der Fall sein muss. Das Engagement und die Statements männlicher Kollegen werden insbesondere von Männern im Unternehmen als bedeutsam wahrgenommen.


4.    Bestehende Arbeitspraktiken in Frage stellen 
Ein vierter Bereich, in dem Kelan das Engagement der Führungskräfte für zentral identifiziert sind die bestehenden Arbeitspraktiken. Die von ihr beforschten Führungskräfte nehmen deutlich war, dass heutige Arbeitsplätze nicht für die heutige Lebensführung gemacht sind. Viele Unternehmen halten jedoch an überkommenen Praktiken fest: Allzeitverfügbarkeit, Präsenzkultur, Vollzeit als Karrierevoraussetzung, Kinderlosigkeit etc. Hier ist das Engagement männlicher Führungskräfte gefragt. Wie sichtbar und glaubwürdig praktizieren sie selbst eine überzeugende «work-life-balance»? Wie sehr sind sie auf «Augenhöhe» für ihre Mitarbeitenden verfügbar, wie ansprechbar für verschiedene Anliegen? Organisationale Veränderung hin zu mehr Chancengleichheit im Unternehmen braucht mehr und überzeugende Rollenmodelle, das zeigt Kelans Studie deutlich auf.

Kelan ist es mit ihrer Forschung in unseren Augen gelungen überzeugend aufzuzeigen, dass Gleichstellung im Arbeitsalltag von Führungskräften beginnen muss, um Wirkung zu erzielen. Es sind es wie so oft die vermeintlich «kleinen Dinge», die hier einen Unterschied machen. Unser Arbeitsalltag besteht aus sehr vielen eingeschliffenen Routinen, auf die man zunächst einmal aufmerksam gemacht werden muss, eher man sie verändern kann. Kelans detaillierte Beschreibungen der vier Themenfelder helfen dabei, die wichtigsten Schauplätze für die Gleichstellung zu erkennen, die eigenen Verhaltensweisen zu reflektieren und neue, Frauen fördernde Verhaltensweisen zu entwickeln. Wer sich vertiefter damit beschäftigen möchte, dem sei der sehr verständlich geschriebene Bericht empfohlen und insbesondere die darin enthaltenen Comic-Geschichten, durch die die gewonnenen Erkenntnisse nochmals sehr gut auf den Punkt gebracht werden: https://elisabethkelan.com/2015/09/linchpin/

Wer neugierig ist zu erfahren, inwiefern die von Kelan für Grossbritannien beschriebenen Praktiken auch in der Schweiz bereits Realität sind, dem empfehlen wir, in ein paar Monaten hier wieder vorbei zu schauen. Der von uns entwickelte Online-Fragebogen zur Erfassung von Einstellungen und Führungspraktiken wird bald an Schweizer Führungskräfte versendet. Ab dem Spätsommer werden wir dann u.a. in diesem Blog von den vorliegenden Ergebnissen berichten!
 



Kelan, E. (2015). Linchpin—Men, Middle Managers and Gender Inclusive Leadership (S. 33). Cranfield International Centre for Women Leaders.

Kelan, E. K. (2018). Men Doing and Undoing Gender at Work: A Review and Research Agenda. International Journal of Management Reviews, 20(2), 544–558. doi.org/10.1111/ijmr.12146

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