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Zwischen Selbstverständlichkeit und Blindheit: Wie „Männerkulturen“ die Gleichstellung in Unternehmen erschweren

Zwischen Selbstverständlichkeit und Blindheit: Wie „Männerkulturen“ die Gleichstellung in Unternehmen erschweren

Gabriele Schambach und Julia Nentwich
6. April 2021

 

Die gleichstellungsorientierte Entwicklung der Unternehmenskultur ist ein Prozess, der durch verschiedenste alltägliche Interaktionen erfolgt. Wie die Ergebnisse der Befragung von knapp 1.200 Führungskräften im Rahmen des Projektes «Leaders for Equality» der Universität St. Gallen gezeigt haben, sind die männlichen Führungskräfte bereits sehr aktiv: Beispielsweise gaben fast Zweidrittel der befragten Kadermänner an, dass sie darauf achten, keine Bemerkungen zu machen, die (vielleicht auch unbeabsichtigt) Frauen abwerten oder nicht ernst nehmen. Zu 45 Prozent sprechen sie andere Männer an, wenn sie Bemerkungen machen, die Frauen abwerten, sexistisch oder frauenfeindlich sind. Weitere 25 bzw. 32 Prozent können sich auf jeden Fall vorstellen, dies zu tun. Dieses Ergebnis stimmt zuversichtlich, denn erstens sind sich die männlichen Führungskräfte mehrheitlich einer «Männerkultur» bewusst, in der abwertende, sexistische oder frauenfeindliche Bemerkungen noch keinesfalls passé sind.  Zweitens sind sie dabei, dies zu ändern oder haben dies zumindest vor.  

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. 
Wenn da nicht die Einschätzung der befragten Kaderfrauen wäre. Diese wurden über die Aktivitäten ihrer Kollegen befragt – und sie kommen zu einem recht anderen Ergebnis: Gerade bei den eben genannten zwei Praktiken ist ihre Skepsis am grössten, und rund ein Drittel der Frauen ist sogar der Meinung, dass sich Männer diese Aktivitäten kaum vorstellen könnten. Anders ausgedrückt: Der Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung der Männer und der Fremdwahrnehmung durch die Frauen ist hier besonders ausgeprägt. Deutlicher geht es kaum!

Was steckt dahinter? Woher kommen diese so unterschiedlichen Einschätzungen?
Ein Blick in die Gruppendiskussionen mit männlichen und weiblichen Führungskräften zeigt, dass  Männer wie Frauen der Meinung sind, dass Frauen es in einer männerdominierten (Führungs-)Welt schwerer haben. Sie kämpfen darum, als Chefinnen sichtbar und wahrgenommen zu werden. Sie stehen unter Beobachtung, um ihre Kompetenzen immer wieder aufs Neue zu beweisen. Sie müssen sich den Respekt von Kollegen und Mitarbeitenden verschaffen. Sie arbeiten gegen tradierte Rollenbilder an, die sie als Führungskraft wahlweise als zu emotional oder zu männlich einordnen. Ihre Strategien sind Anpassung, Aufbegehren oder Aufgeben. 

Männer wie Frauen erkennen und sprechen über diese Unterschiede und kritisieren sie gleichermassen. Im Unterschied zu den Frauen folgt jedoch bei den Männern kaum eine Idee, wie dies verändert werden könnte. Der rauhe Umgangston, das konservative Frauenbild bestimmter Berufs- oder Branchenvertreter oder die herablassende Art männlicher Kunden erscheinen wie eine Art Naturgesetz. So ist es eben. Punkt. Ende. 

Die Kaderfrauen hingegen haben klare Vorschläge, was sich an der Unternehmenskultur ändern sollte: Sie wollen den rauen Umgangston nicht mehr nur aushalten, sondern wünschen sich, dass Männer vermehrt eingreifen und dagegen Stellung beziehen. Sie wollen nicht länger jeden Tag „in der Kampfzone an der Front stehen“, wie eine Managerin es formulierte. Sondern sie wollen so emotional und auch tough wie sie sind akzeptiert werden. Sie möchten verschont bleiben von den „Machtspielen“ der Männer, die ihnen fremd sind, und die sie sich auch nicht aneignen wollen.

Die naheliegende Frage ist: Wieso kommen die Männer nicht auf solche Vorschläge? Haben sie sich mit dieser „Männerkultur“ arrangiert und sind in diese so eingebunden, dass sie blind sind? Lediglich ein einziger Manager hat in den Gesprächen die Schwierigkeit der eigenen Betroffenheit und Verantwortung angesprochen: «Was ist eigentlich mein Beitrag zum Problem? Inwiefern kann ich zur Lösung beitragen? Ich käme nie drauf, dass ich Teil vom Problem bin, weil ich so tief im Schatten stecke, dass ich es nicht sehe“.

Wie können diese blinden Flecken aus dem Schatten ans Licht treten? 
Die beste Möglichkeit ist so banal, wie bislang zu wenig erfolgt: miteinander reden! Frauen und Männer können sich darüber austauschen, wie sie verschiedene konkrete Alltagspraktiken erleben und empfinden – und was sie sich anders wünschen. Unabdingbar ist dabei das gegenseitige Wohlwollen und eine konstruktive Orientierung auf eine gender-inklusive Veränderung der Unternehmenskultur. Das heisst, dass sich Männer ihre möglichen «blinden Flecken» anhören, ohne sich umgehend rechtfertigen zu müssen. Im Gegenteil können sie als Erweiterung ihres bisherigen Blickwinkels wertschätzen. Für Frauen heisst es, ihre Erfahrungen, Eindrücke und Empfindungen vermehrt anhand konkreter Beispiele und Situationen zu vermitteln – möglichst ohne pauschalisierende Vorwürfe und verallgemeinernde Aussagen über «die Männer». Beides natürlich auch vice versa.
Aufbauend auf einem solchen Austausch können gemeinsam so genannte «Gender Inclusive Leadership Practices», also konkrete Verhaltensweisen verabredet werden. Diese betreffen dann natürlich männliche ebenso wie weibliche Führungskräfte – denn nur gemeinsam gelingt eine Veränderung der Unternehmenskultur. 

 

Wir freuen uns, dass die Handelszeitung als unser Projektpartner diesen Artikel in in der Printausgabe am 25. März und am 3. April 2021 in der Online-Ausgabe veröffentlicht hat.

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