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Bias-Trainings: Was können sie wirklich?

Bias-Trainings: Was können sie wirklich?

Ein Gastbeitrag von Nina Locher, Studentin im HSG Master-Programm «Management, Organisation und Kultur» 
20. Dezember 2019

 

«Think manager, think male» noch immer verbreitet
Das Schweizer Top-Management ist zu 80% mit Männern besetzt und Frauen werden deutlich seltener befördert (Advance & HSG, 2018). Auch Lohnunterschiede sind weiterhin üblich. Je höher die berufliche Stellung ist, desto geringer ist der Frauenanteil und desto grösser der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen (Bundesamt für Statistik, 2018). Kein Wunder, sind stereotype Vorstellungen von der «guten Führungskraft» nach wie vor stark verbreitet. Während Frauen als gutherzig, fürsorglich und sensibel gelten, zeichnen sich Männer durch Leistungsorientierung, Verantwortungsbereitschaft und Rationalität aus (Heilman, 2012). Stereotype, ja, aber durchaus wirkungsvoll, da wir so mit Führungskräften Eigenschaften verbinden, die eher Männern zugewiesen werden: «think manager think male». Unsere Vorstellungen der guten Führungskraft sind dominiert von stereotyp männlichen Eigenschaften. Frauen in Führungspositionen befinden sich in einem Dilemma: Zeigen sie stereotyp als weiblich geltende Eigenschaften, werden sie schnell als weniger kompetent für eine Führungsposition angesehen. Zeigen sie jedoch die von einer Führungskraft geforderten Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit oder auch Ehrgeiz, so werden sie als weniger weiblich wahrgenommen, was ihnen wiederum negativ ausgelegt wird (Eagly & Karau, 2002). Egal, was sie tun, sie können nicht gewinnen, und die vorherrschenden Stereotype hindern sie bei ihrem beruflichen Aufstieg.

Bias-Trainings und was sie verändern (können)
Weltweit haben immer mehr Unternehmen dieses Problem erkannt und Massnahmen ergriffen. Eine derzeit stark verbreitete Intervention sind sogenannte «Bias-Trainings». Sie verfolgen das Ziel, Mitarbeitende von ihren bewussten und unbewussten Vorurteilen zu befreien und so die Chancengleichheit im beruflichen Aufstieg zu gewährleisten. 
Wie aber wirken diese Trainings und was ist von ihnen zu erwarten? In meiner Masterarbeit bin ich der Frage nach der Wirksamkeit von Bias-Trainings nachgegangen. Bereits nach ersten Recherchen des aktuellen Forschungsstands wurde deutlich, dass die Wirksamkeit nur beurteilt werden kann, wenn man zwei grundlegend unterschiedliche Zielsetzungen der Trainings unterscheidet: Zum einen die Veränderung von Einstellungen, was stereotype Vorstellungen von Frauen in Führungspositionen wie auch deren Bewertung umfasst, zum anderen die Veränderung des Verhaltens, was sich dann in anders getroffenen Entscheidungen äussern kann. Hier wird sofort klar: Die Veränderung der individuellen Einstellungen alleine wird noch keinen entscheidenden Unterschied in den Entscheidungen für oder gegen die Förderung von Frauen als Führungskräfte mit sich bringen (Noon, 2017). Die Personen, die über die Besetzung von Spitzenpositionen entscheiden, müssten zwingend auch ihr Verhalten verändern, soll sich etwas verändern. In meiner Masterarbeit habe ich darum zwischen den folgenden zwei Fragen differenziert: 1. «Sind Bias-Trainings in der Lage, Einstellungen zu verändern?» und 2. «Können Bias-Trainings Verhaltensänderungen bewirken?».

Was sagt uns der aktuelle Forschungsstand?
Ganz grundlegend zeigt der Forschungsstand, dass Bias-Trainings sehr gut in der Lage sind, Bewusstsein für Vielfalt und Diskriminierung zu schaffen (Carnes et al., 2015; Majumdar et al. 2004; Moss-Racusin et al., 2016), zu einem Wissenszuwachs diesbezüglich beizutragen (Bezrukova et al., 2016) und, zumindest kurzfristig, die impliziten Einstellungen von Menschen zu verändern (Jackson, Hillard & Schneider, 2014; Girod et al., 2016). Die impliziten Einstellungen sind jene, die in der fraglichen Situation nicht explizit thematisiert werden. Sie stellen im Unterschied zu den expliziten Einstellungen ein besonders grosses Forschungsinteresse dar. Spannend in diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Arbeit von Jackson, Hillard und Schneider (2014). Die Forscherinnen untersuchten an verschiedenen Universitäten den Einfluss von Bias-Trainings auf die Einstellungen gegenüber Frauen, die in typisch männlichen Fachbereichen tätig sind. In ihrer methodisch vorbildlichen Studie kamen sie zum Schluss, dass Bias-Trainings durchaus in der Lage sind, die impliziten Einstellungen kurzfristig zu verändern. In ähnlicher Weise untersuchten Girod, Fassiotto, Grewal, Ku, Sriram, Nosek und Valantine (2016) die Vorurteile gegenüber Frauen in Führungspositionen. Auch ihre Studie zeigt, dass Bias-Trainings kurzfristig die impliziten Einstellungen beeinflussen können. Inwieweit von Bias-Trainings auch langfristige Wirkungen erwartet werden können, ist jedoch derzeit noch unklar.

Während die Wirkung von Bias-Trainings auf die kurzfristige Veränderung impliziter Einstellungen deutlich belegt scheint (Lai et al., 2016), ist dies für die Auswirkungen auf das Verhalten weniger deutlich. Dies liegt aber insbesondere am sehr mageren Forschungsstand. Kaum eine Studie fokussiert ausschliesslich auf die Untersuchung dieses Zusammenhangs. Oftmals werden bestimmte Verhaltensanpassungen nur nebenbei in einer Studie gemessen, die sich eigentlich auf die Analyse von Einstellungsänderungen konzentriert. So zum Beispiel die Studie von Forscher, Mitamura, Dix, Cox und Devine (2017). Sie können zeigen, dass Menschen nach einem Bias-Training eher dazu bereit sind, sich öffentlich gegen einen diskriminierenden Beitrag auszusprechen, als sie es ohne das Training gewesen wären. 
Die Erkenntnisse meiner Masterarbeit zeigen hier deutlich, dass zunächst weitere Forschung notwendig wäre, um Aussagen über Langzeiteffekte und aus den Bias-Trainings resultierende Verhaltensanpassungen machen zu können. Zudem untersucht meines Wissens bisher keine Studie den Effekt von Bias-Trainings gezielt im Zusammenhang von Rekrutierungs- und Beförderungsentscheiden.

Wenn Bias-Trainings, dann richtig!
Trotz dieser Forschungslücken lässt sich festhalten, dass Bias-Trainings positive Effekte haben. Für die praktische Umsetzung von Trainings ist selbstverständlich besonders interessant, welche konkreten Trainingselemente zu einem Trainingserfolg in einem Unternehmen beitragen. In vielen Studien sind solch förderliche Elemente für Bias-Interventionen aufgeführt. Zentral sind dabei alle Elemente, die über die Veränderung individueller Einstellungen hinausgehen und Handlungskompetenzen – also Verhalten – thematisieren oder aber in grössere strategische oder strukturelle Massnahmen wie z.B. die Führungskräfteentwicklung eines Unternehmens eingebunden sind (Dobbin & Kalev, 2016). Im Folgenden zeige ich die aufgrund meiner Analyse wichtigsten Erkenntnisse auf: 

  • Eine längere Dauer der Trainings kann sich positiv auf deren Effektivität auswirken (z.B. Bezrukova et al., 2016).
  • Trainings sollten auch das Erlernen spezifischer Handlungskompetenzen und das Thematisieren konkreter Strategien beinhalten und sich nicht nur auf Bewusstseinserweiterung hinsichtlich Diskriminierung und auf Einstellungsänderungen beschränken (z.B. Bezrukova et al. 2016; Roberson et al., 2009). 
  • Es wird empfohlen, verschiedene Vermittlungsmethoden (Präsentationen, Diskussionen etc.) zu kombinieren und die Workshops lebhaft und emotional zu gestalten (z.B. Lai et al., 2016).
  • Die Wirksamkeit von Diversity- und Bias-Trainings kann unterstützt werden, indem ergänzende strukturelle Massnahmen ergriffen werden, z.B. die Integration der Gleichstellungsziele in die Unternehmensziele, oder auch die Integration der Workshops in den Arbeitsalltag ausserhalb des Trainingskontextes (z.B. Bezrukova et al. 2016; Williamson & Foley, 2018).
  • Um den Transfer der Trainings in den Arbeitsalltag zu erleichtern, sollte kompetenzbasiertes, handlungsorientiertes Lernen in den Interventionen vertieft behandelt werden (z.B. Carnes et al. 2015; Girod et al., 2016; Devine et al., 2012).
  • Wichtig bei der Durchführung von Trainings ist die Unterstützung durch Vorgesetzte und Kolleg*innen. Diese haben einen wichtigen Einfluss auf die Anwendung von Transferstrategien (Roberson et al., 2009).

Bezüglich Bias-Trainings gibt es also erfreuliche Resultate, die Hoffnung auf eine Zukunft geben, in der die Chancengleichheit von Frauen und Männern beim beruflichen Aufstieg tatsächlich gegeben ist. Um die Frage zu klären, ob Bias-Trainings tatsächlich in der Lage sind, zur Durchlässigkeit der allbekannten Glasdecke beizutragen, bräuchte es jedoch zusätzliche Langzeitstudien und Untersuchungen zu Verhaltensanpassungen mit validierten Messmethoden. Diese werden uns die Frage beantworten können, ob die Einstellungen der Menschen nur vorübergehend oder aber nachhaltig beeinflussbar sind und ob sich so auch das Verhalten in der Entscheidungssituation tatsächlich verändern lässt. 

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