Wir freuen uns, dass die Handelszeitung als unser Projektpartner diesen Artikel in gekürzter Fassung in der Printausgabe am 16. Juli und am 29. Juli 2020 in der Online-Ausgabe veröffentlicht hat.
Unternehmen haben erhebliche Vorteile, wenn sie Gleichstellung befördern. Das sehen vor allem auch die von uns in insgesamt 10 Gruppendiskussionen befragten männlichen Führungskräfte.
Noch immer hält sich in vielen Unternehmen hartnäckig die Annahme, Gleichstellung und die Erhöhung des Frauenanteils in Kaderpositionen sei als „Nice-to-have“ ein nettes Zusatzthema. Und häufig werden andere vermeintlich „echte“ Business-Themen dringlicher eingeschätzt. Das ist ein fataler Trugschluss! Gleichstellung zu befördern ist vielmehr als ein „Must-have“ unabdingbar, um die Zukunftsfähigkeit und das wirtschaftliche Überleben von Unternehmen zu sichern. Denn, wie eine der von uns befragten männlichen Führungskräfte, zutreffend formuliert: „Wenn alle Frauen hinter dem Herd sind, dann geht unsere Wirtschaft ja kaputt“.
Warum ist das so? Wir haben die wesentlichsten Argumente hier für Sie im Überblick zusammengestellt:
Dem Fachkräftemangel begegnen
„Und dann noch sagen, jetzt wollen wir auch noch auswählen. Das funktioniert nicht mehr. Man muss sich öffnen. Die mittelständischen Unternehmen, vor allem im Ingenieursbereich, haben wirklich einen Fachkräftemangel“. Dieses Statement einer männlichen Führungskraft in einer unserer Diskussionen trifft den Nagel auf den Kopf: Die demographische Entwicklung führt dazu, dass der Altersdurchschnitt der Führungskräfte in der Schweiz bei 46,5 Jahren liegt. Absehbar ist folglich, dass in der nahen Zukunft eine ganze Reihe (männlicher) Führungskräfte pensioniert wird. Aber es gibt nicht in gleichem Masse qualifizierten Fachkräftenachwuchs. Schon heute ist es nicht immer einfach, Stellen nach zu besetzen - und deshalb auch wenig sinnvoll die gut qualifizierten und motivierten Frauen unberücksichtigt zu lassen.
Denn die Zeiten haben sich geändert: Frauen wollen und sind zunehmend erwerbstätig - im Vergleich zum Jahr 1991 sind es heute fast eine Millionen mehr. Für unsere Gesprächspartnerinnen sind Erwerbstätigkeit und Führungsposition selbstverständlicher geworden und es gibt zunehmend mehr Frauen als Vorbilder. Allerdings hinken die gesellschaftlichen Vorstellungen hinterher, denn im Vergleich beispielsweise mit den Niederlanden oder Skandinavien ist nach Meinung der von uns befragten weiblicher Führungskräfte in der Schweiz ein „Weltbild der 3K: Kinder, Kirche, Küche für Frauen“ vor allem jenseits der Romandie und ausserhalb der Städte noch weit verbreitet.
„Wir brauchen Fachleute, deshalb diskutieren wir um dieses Thema herum, nicht, weil wir genug Leute haben“.
Sich um die Frauen zu bemühen, ist jedoch für Unternehmen äusserst lohnend: Im „War for Talents“ können neue Arbeitskräftereservoirs erschlossen werden, wodurch sich automatisch der Ressourcen- und Auswahlpool vergrössert. Stellenausschreibungen geschlechtersensibel zu formulieren oder Anzeigen gezielt über (Frauen-)Netzwerke zu verbreiten sowie Headhunter explizit mit dem Finden von geeigneten Frauen zu beauftragen sind dabei erprobte und erfolgreiche Recruiting-Aktivitäten.
Neben der Suche nach neuen Fachkräften ist auch die Bindung der Mitarbeitenden von Bedeutung: „Wir dürfen einfach die guten Leute nicht verlieren“. Auch hier tragen nachgewiesenermassen Gleichstellungsaktivitäten wie z.B. die Veränderung der bisherigen Normalitätsvorstellungen dazu bei, dass Unternehmen ihre Fluktuationsraten ebenso wie Absentismus- und Krankheitsraten senken – und damit nicht nur Kosten einsparen, sondern vor allem auch Know-How sichern können.
Insgesamt steigern Gleichstellungsaktivitäten die Arbeitgeberattraktivität, wodurch besonders kleine und mittlere Unternehmen im Ranking punkten können, „weil es im Employer-Branding super toll ist, wenn man sagen kann, hey, wir sind an dem gleichen Thema dran wie das Grossunternehmen X“.
Effizienz und Performance steigern
Die Erfahrung der männlichen Führungskräfte in unseren Gruppendiskussionen ist, dass Entscheidungen von reinen Männerteams «häufig extremer oder mehr schwarz und weiß gezeichnet“ sind, und dass dadurch „einiges an potenzieller Wertschöpfung verloren“ geht, wenn „relativ wenig Frauen in Führungspositionen“ sind. Demgegenüber zeichnen sich High-Performance Teams „meistens dadurch aus, dass sie recht divers sind. Weil sie Tradition und Moderne kombinieren, sich selber hinterfragen, dem Risiko, der Selbstrekrutierung oder der Selbstbeweihräucherung begegnen.“
Insgesamt wird festgestellt, dass gemischte Teams effizienter sind und „mit weniger Kraft einfacher ans Ziel“ kommen „und gleichzeitig reduziert es auch stark den Konkurrenzgedanken“ hin zu einem „viel stärkeren Miteinander“.
Diese Wahrnehmungen bestätigen Studien beispielsweise von McKinsey oder Ernst & Young: Unternehmen mit Frauen im Top-Management erzielen um bis zu 50 % höhere Betriebsergebnisse! Als Gründe für diese Erfolge gelten die bewusst heterogen zusammengesetzten Teams, die flexibler im steten Wandel von Markt- und Arbeitsumfeld sowie schneller und besser auf unterschiedliche Anforderungen von Stakeholdern und Kund*innen reagieren können. Ebenso kann in höherem Maße flexibel auf den anhaltenden organisationalen Digitalisierungswandel eingegangen werden, bei dem zunehmend Kommunikation und Projektorientierung gefordert sind.
Mit der Steigerung von Effizienz und Performance einher geht auch die Reduktion von direkten Kosten durch übermäßige Arbeitskräftebewegungen, Neueinstellungen und Absentismus sowie indirekte Kosten durch Unzufriedenheit und Demotivation.
Kreativität und Problemlösung erhöhen
Die höhere Effizienz und bessere Performance beruhen darauf, dass gemischte Teams zu mehr Kreativität und Innovation sowie Problemlösung fähig sind. Dies liegt vor allem daran, dass Frauen und Männer vielfältige Sichtweisen, Lebens- und Arbeitserfahrungen und Kompetenzen einbringen – wie es eine Führungskraft aus eigener Erfahrung beschreibt: „Wir merken selber, dass uns das beispielsweise beim Thema Führung Vielseitigkeit kostet. Dass wir da Kreativität lassen, dass wir da neue Ideen oder Ansätze lassen, die wir sonst vielleicht hätten. Wir merken, dass uns das sehr hilft, wenn wir Frauen haben, die wir für uns begeistern können und in verantwortungsvolle Positionen und Führungsrollen entwickeln.“
Diese grössere Perspektivenvielfalt führt zu besseren und nachhaltigeren Ergebnissen. Aber „man muss sich mehr reiben. Es ist nicht immer der einfachere Weg, aber unter dem Strich ist das Ergebnis immer ein besseres.“ Es kommen „einfach neue Gedanken, neues Wissen, neue Arbeitsweisen, neue Techniken rein“, im Gegensatz zu einheitlicheren Sichtweisen einer homogenen Gruppe: „Wenn wir nur unter Männern sind, wo man weiß, wir ticken alle ähnlich, wir sind auch alle im Gleichtakt geschaltet. Wenn man sich dann plötzlich solche „Störfaktoren“ mitreinholt, dann kriegt man auch mehr Qualität, und dann wird im Prinzip auch das Ergebnis deutlich interessanter“.
Dies basiert nach Meinung der Führungskräfte auf „einem wahnsinnig guten und positiven Austausch in die Gruppe“, deren Gruppendynamik auf der Vielfalt von Meinungen und Verhaltensweisen beruht, die wiederum zur Folge „eine gewisse Ausgeglichenheit von den Entscheidungen“ haben. Dabei werden „bestimmte Themen oder Konflikte anders auszutragen - nicht nur mit Muskelkraft oder Lautstärke“.
Zusammenfassend wird betont: „Wenn wir wirklich innovativer werden wollen, müssen wir vielfältige Teams haben, die innovativ denken.“ Und im Endeffekt überzeugt: “Ich glaube, das beflügelt die Teams“.
Gute Zusammenarbeit als Basis für den Erfolg
Um Teams zu beflügeln und hervorragende Leistungen zu erbringen, braucht es eine gute Zusammenarbeit. Denn nur wenn die Menschen zufrieden sind und ihre Arbeit gerne machen, sind sie auch kreativ und effizient – und bleiben gesund. In Kombination mit gemischten Teams hat das nach Meinung der männlichen Führungskräfte einen positiven Einfluss auf das Arbeitsklima: «Das Team bekommt plötzlich einen ganz anderen ‚Groove‘, wenn eine Frau drin ist“. Es entstehe eine „andere Kultur“ und „das soziale Klima wird viel stärker aktiv gepflegt“. Gemeint ist damit, dass Frauen die so genannten „Soft Skills“ einbringen, das heisst, sie kümmern sich um die Geburtstage von Kolleg*innen, oder Sammelaktionen für Geschenke starten. Dies wird gleichzeitig kritisch von einer männlichen Führungskraft reflektiert: „Das schiebt man ihnen einfach zu und nimmt es für selbstverständlich. Aber das ist ganz essentiell für eine Kultur der Zusammengehörigkeit. Das muss man auch in die Performance reinmessen. Das ist etwas, das ich sehr, sehr schätze, aber was nirgendwo in einer Job-Description steht.“ Ebenso wenig wie das Wahrnehmen von unterschwelligen Konflikten, oder wenn Kolleg_innen unglücklich sind, was als grosser Vorteil betont wird angesichts der eigenen Kompetenzmängel: „I have zero emotional intelligence, absolutely none. I have Ms X in my team who has lots and lots of it. I use her as my chief emotional officer.”
Gleichstellung als Perpetuum Mobile für eine neue Normalität
Für die Frauen und Männer in Führungspositionen ist Gleichstellung sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis der aufgezeigten Vorteile – gewissermassen wie ein Perpetuum Mobile: Durch mehr Gleichstellung im Unternehmen entsteht mehr Gleichstellung im Unternehmen entsteht mehr...
Gewünscht wird von den Führungskräften eine neue Normalität, in der der Druck entfällt, den herkömmlichen Rollenbildern zu entsprechen: Arbeitet beispielsweise der Mann in Teilzeit, ist «das erste, was man machen muss: sich erklären. Ich werde gefragt. Was machst du dann die ganze Zeit? Beide müssen sich erklären: Männer müssen erklären, warum sie so wenig arbeiten und Frauen müssen erklären, warum sie so viel arbeiten. Meine Frau arbeitet seit jeher 100% und die Leute fragen uns: ‚Ihr habt zwei Kinder, warum habt ihr die in die Welt gesetzt?‘ Dann schauen sie immer meine Frau an, nicht mich! Das finde ich verrückt!“
Um den Rechtfertigungsdruck zu reduzieren, wird von Frauen die Hoffnung geäussert, dass ein Austausch darüber unter männlichen und weiblichen Führungskräften „eine Normalität in das Thema bringt“, bei dem im Führungsalltag „auch mal die Familie Platz haben darf, um miteinander den Weg zu finden und zu verstehen warum jemand etwas früher nach Hause muss oder am Morgen etwas später da ist“. Damit einher geht für eine männliche Führungskraft auch ein verändertes Führungsverständnis, bei der sicherzustellen ist, „dass uns die Leute durch eine bessere Work-Life-Balance nicht durchbrennen. Daraus ergeben sich Anforderungen an Führungskräfte: Sich nicht nur über vier Stunden Schlaf zu definieren. Das ist ja dann kontraproduktiv. Weil, du brennst ja deine Leute durch, wenn du die ganze Zeit mit irgendwelchen E-Mails um dich herum schmeisst. Die sagen dann irgendwann Mal am Samstag «der spinnt»“.
Aber nicht nur das gegenseitige Verständnis füreinander und ein veränderter Führungsstil sind entscheidend, sondern das klassische Argument der Familienverantwortung mit einhergehenden Abwesenheiten durch Mutterschutz und Erziehungsurlaub, das zu beruflichen Nachteilen führt. Die Voraussetzungen für eine gerechter verteilte Elternzeit zwischen Müttern und Väter wie es in Deutschland der Fall ist, wird von den Führungskräften als Voraussetzung angesehen, aber gleichzeitig konstatiert: „Wir sind hier eigentlich noch im Steinzeitalter unterwegs.“
Es ist Zeit, das zu verändern. Die von uns befragten männlichen Führungskräfte betonen, dass die Gestaltung von Gleichstellung mit ihnen selbst und im Unternehmen beginnt: „WIR müssen die Rahmenbedingungen schaffen, dass Gleichstellung funktionieren kann!“
Die Grundlage für die genannten Vorteile von Gleichstellung sind die Überlegungen von Gertraude Krell und Barbara Sieben: Diversity Management: Chancengleichheit für alle und auch als Wettbewerbsvorteil, in: Krell, Gertraude/ Ortlieb, Renate/ Sieben, Barbara (Hrsg.) (2011): Chancengleichheit durch Personalpolitik, 6. Aufl., Wiesbaden, S. 155-174.