Männer und Gleichstellung – ein ambivalentes Verhältnis

Männer und Gleichstellung – ein ambivalentes Verhältnis

Julia Nentwich
9. Mai 2020

 

Männer setzen sich zunehmend für die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter ein. Sie unterstützen Frauen als Kolleginnen und Mitarbeiterinnen, streben gleichberechtigte Partnerschaften an und bemühen sich um eine faire Arbeitsteilung in der Familie. Zugleich sind Männer unsicher, inwieweit sie sich öffentlich – in der Gesellschaft oder auch im Unternehmen als Unterstützer für Gleichstellungsanliegen zu erkennen geben wollen. Sie stellen sich die Frage, wie sie von anderen Männern wahrgenommen werden und ob ihr Engagement ihre Männlichkeit in Frage stellt. Auch besteht Unsicherheit, inwieweit sie bei den in der Gleichstellungsarbeit aktiven Frauen überhaupt «erwünscht» sind. Obwohl Männer die Wichtigkeit von Gleichstellungsanliegen auch für sich selbst erkennen, scheint ihr Verhältnis ambivalent zu sein. Wie kommt es dazu?

Sich für Gleichstellung einzusetzen kann riskant sein, für Männer wie für Frauen: Um Veränderungen zu bewirken ist es notwendig, bisherige Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen – doch das löst Verunsicherung bei Kollegen und Kolleginnen im Unternehmen aus und wird zunächst einmal wenig geschätzt. Man macht sich unbeliebt und wird verletzlich. Das betrifft grundsätzlich Frauen wie Männer, allerdings auf unterschiedliche Weise: Spricht z.B. eine Frau im Unternehmen eine erlebte oder beobachtete Diskriminierung offen an, riskiert sie, als «frustriert» oder «hysterisch» dargestellt zu werden (Morley, 1994). Die Reaktionen der anderen fallen häufig sehr emotional und verletzend aus (Wahl et al., 2014) und stellen ihre Wahrnehmung, wenn nicht die ganze Person in Frage. Sich gegen Diskriminierung einzusetzen ist keinesfalls immer und überall positiv konnotiert.

Auch Männer machen sich angreifbar, setzen sie sich offen für Gleichstellungsanliegen ein. Auch sie laufen Gefahr, nicht ernst genommen, abgewiegelt, als «zu weich» oder «emotional» eingeschätzt zu werden. Männer betreffen diese Reaktionen jedoch auf andere Weise: Sie verfügen meist über einen weitaus kleineren Erfahrungspool mit Situationen, in denen sie nicht dazu gehören, nicht Teil der Mehrheit sind. Zugleich verlieren sie in solchen Momenten die Unterstützung der Gruppe männlicher Kollegen, mit denen sie sich bisher aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit (vermutlich) ganz selbstverständlich zugehörig fühlten. Und das ist ein unangenehmes Gefühl, man bewegt sich in unbekanntem Gelände und ist verunsichert.

Männer, die sich für Gleichstellungsanliegen einsetzen, fordern jedoch nicht nur die konkret an der Situation beteiligten Personen heraus, sie stellen sich auch auf Kriegsfuss mit den vorherrschenden Annahmen hegemonialer Männlichkeit: Warum stellt er denn plötzlich das für selbstverständlich gehaltene in Frage? Warum wendet er sich gegen die Ansichten seiner männlichen Kollegen? Ein solches «Ausscheren» aus der «Herde» wird oftmals als Verrat gedeutet, nicht nur an der konkreten Gruppe von Männern, sondern an der Männlichkeitsnorm im Unternehmen allgemein. Deshalb bedeutet ein Engagement für Gleichstellung nicht Ruhm und Ehre, sondern kann zu Ausgrenzung führen und sogar den nächsten Karriereschritt gefährden. 

Die Beobachtungen des finnischen Managementprofessors Janne Tienari machen dies deutlich (Tienari & Taylor, 2019): Stellen seine Kollegen und Kolleginnen fest, dass er sich - als Mann - in seiner Forschung mit Geschlechter- und Gleichstellungsthemen beschäftigt, so löse das Irritationen aus. Irritation, da die Forschung dann als weniger interessant und weniger wissenschaftlich eingeschätzt werde. Irritation aber auch, dass er als Mann nicht in karriereförderlichere Themen investiere – und schon entstünden in Folge Zweifel an seinen Karriereambitionen. Und es sind diese Irritationen und Zweifel, die die betroffenen Männer irgendwie unmännlich erscheinen lassen. Hegemoniale Männlichkeit wird – und muss - hier herausgefordert werden. Allerdings zahlt das herausfordernde Individuum einen Preis dafür, denn es wird in Frage gestellt.

Viele Männer wollen sich für die Gleichstellung von Frau und Mann einsetzen und sehen durchaus, dass sie auch individuell von diesen Veränderungen profitieren können. Der «Business Case» ist mehr als klar und als Führungskräfte fühlen sie sich selbstverständlich auch den Unternehmenszielen – z.B. den Frauenanteil auf allen Stufen zu erhöhen – verpflichtet. Zugleich kann es für Männer aufgrund ihres Geschlechts aber schwierig sein, sich aktiv für diese Ziele einzusetzen. Die Frauenbewegungen und die feministische Theorieentwicklungen haben für Frauen einen Boden bereitet, der zwar nicht immer einfach und mit Risiken verbunden ist, jedoch eine kollektive Identität bietet, die es leichter macht, klare Positionen zu beziehen. Männern fehlt genau diese breite und öffentlich verbreitete Bewegung, die die individuelle männliche Identität mit den politischen Zielen eines Kollektivs verbindet. Diese wäre aber wichtig und könnte Männern mehr Rückendeckung geben.

Eine Lösung aus diesen gerade für Männer bestehenden Ambivalenzen hinaus könnte der von Tienari und Taylor (2019) skizzierte Weg sein. Sie sind beide als Managementforscher auch mit Gleichstellungsthemen befasst und erörtern in einer in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift «Organization» erschienenen Reflexion ihren jeweils persönlichen Umgang mit diesen Herausforderungen. Scott Taylor bezieht sich dabei auf die von der US-Amerikanischen Feministin Bell Hooks (2000) eingebrachte Unterscheidung: Feminismus richtet sich nicht gegen Männer, sondern verfolgt das Ziel, Gleichstellung herzustellen und Diskriminierung zu verhindern. Hooks entkoppelt hier das politische Anliegen feministischer Ansätze zur Überwindung von Ungleichheiten von der Annahme, es betreffe ausschliesslich Frauen und müsse auch ausschliesslich von Frauen vorangetrieben werden. Frauen, die sich zudem auch nicht alle gleichen und sicher nicht in allen Punkten miteinander übereinstimmen. Versteht man Gleichstellung in diesem Sinne als ein politisches Anliegen, so können und dürfen sich alle Menschen – und eben auch Männer - für Gleichstellungsanliegen und gegen Ungleichheiten einsetzen.

Für Scott Taylor ist diese Unterscheidung zentral (Tienari & Taylor, 2019). Zwar sei es für ihn nicht stimmig, sich als «Feminist» zu bezeichnen, da dies mit einer Geschlechter-Identität verbunden sei, die er als Mann nicht teile. Dennoch könne er laut und deutlich sagen, dass er feministische Anliegen im Sinne der damit verbundenen politischen Forderungen teile und unterstütze. Auch nutze er die Erkenntnisse und theoretischen Positionen feministischer Theorien, um Ungerechtigkeit und Diskriminierung erkennen und aufdecken zu können. Feministische Anliegen zu unterstützen bedeutet für ihn, in seinem eigenen Arbeitskontext der Managementforschung bislang unberücksichtigte oder blinde Flecken anzusprechen und aufzunehmen. Gleichstellung zu unterstützen wird so etwas, das alle Menschen tun können, die sich mit den Zielen der Anti-Diskriminierung und dem Verhindern von Ungerechtigkeit identifizieren können. So erklärt er: «I feel ontologically secure as a man, but I want to disrupt the behaviours I associate with the uglier aspects of masculinities, such as anti-feminist, sexist or misogynist acts, for personal and politicial reasons” (Tienari & Taylor, 2019, p. 951). In der von Scott Taylor aufgezeigten Weise können auch Männer Zugang und damit die notwendige «Rückendeckung» aus den feministischen Bewegungen erhalten: «Feminism is for everybody»! (Hooks, 2000). Damit wird der Einsatz für die Gleichstellung zwar nicht weniger riskant, man steht aber auch nicht mehr ganz alleine da!
 



Hooks, B. (2000) Feminism Is for Everybody: Passionate Politics. Cambridge, MA: South End Press. books.google.ch/books/about/Feminism_is_for_Everybody.html

Morley, L. (1994) Glass Ceiling or Iron Cage: Women in UK Academia, Gender, Work and Organization 1(4), 194–204.

Tienari, J., & Taylor, S. (2019). Feminism and men: Ambivalent space for acting up. Organization, 26(6), 948–960. doi.org/10.1177/1350508418805287

Wahl, A. et al. (2014). Male Managers Challenging and Reinforcing the Male Norm in Management. NORA 22(2), 131-146. doi.org/10.1080/08038740.2013.864702
 

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